Wir bewahren Stadtgeschichte


Nachruf zum Tode von Prof. Dr. Gert Kollmer-von Oheimb-Loup

Gert Kollmer von Oheimb-Loup hat nicht nur für den GAV, sondern auch für die Erforschung der Esslinger Stadtgeschichte wichtige Beiträge geleistet. Er war früh von der Geschichte im allgemeinen und derjenigen seiner Heimatstadt Esslingen, der er Zeit seines Lebens liebevoll, aber von Fall zu Fall auch konstruktiv kritisch verbunden war, fasziniert. Im Stadtarchiv befindet sich ein kleines Manuskript zu den „Kandlerschen Rissen“, das er offenbar schon mit 19 Jahren kompetent und meinungsstark verfasst hat. Während seines Studiums hat er für den damaligen Stadtarchivar Otto Borst einige Texte für Ausstellung und Katalog „Fabrikanten und Arbeiter.  Dokumente zur Esslinger Industrie- und Sozialgeschichte 1800 – 1900″ (1974) verfasst. Ersteren – den Fabrikanten – hat er später, in einer Festschrift für den ebenfalls viel zu früh verstorbenen Historiker und GAV-Vorsitzenden Rainer Jooß, noch eine weitere Studie gewidmet, indem er die Wohnsitze Esslinger Fabrikanten unter sozialgeschichtlicher Perspektive beleuchtete.

Kollmers im Wintersemester 1978/79 an der Universität Tübingen eingereichte Dissertation untersuchte die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Reichsritterschaft in den Kantonen Neckar-Schwarzwald und Kocher (letzterer hatte ja seinen Sitz in Esslingen). Auf der Basis dieser Forschungen widmete er bereits 1983 der mit Esslingen so eng verbundenen Familie Palm / von Palm eine Monographie, die bis heute Gültigkeit besitzt. 

Als studierter und später habilitierter Historiker, gelernter Ökonom und ausgebildeter Archivar bestens präpariert hat Gert Kollmer ab 1980 das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg auf- und ausgebaut, das heute nicht zuletzt aufgrund seines außerordentlichen Organisationstalents eines der bedeutendsten und größten Wirtschaftsarchive Deutschlands ist. Es ist kein Zufall, dass sich im Wirtschaftsarchiv die Bestände zahlreicher bedeutender Esslinger Firmen – seit neuestem auch der Maschinenfabrik Esslingen – befinden.

Seine Heimatstadt Esslingen blieb für den versierten Wirtschaftshistoriker als – so seine Einschätzung – „wichtigste[r] Industriestandort der frühen Industrialisierung Württembergs“ ein spannender und produktiver Untersuchungsgegenstand, dessen Wirtschaftsgeschichte er facettenreiche Beiträge widmete, die von Überblicksdarstellungen bis zu Detailstudien reichten. In dem Band „Esslingen am Neckar: Aspekte seiner Geschichte“, den unsere ehemalige Vorsitzende Birgit Hahn-Wörnle 2007 herausgegeben hat, findet sich ein profunder Überblick über die Esslinger Wirtschaftsgeschichte vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Wiederholt und mit großer Kennerschaft hat Kollmer auch die Wirtschaftsgeschichte des gesamten mittleren Neckar-Raumes umrissen (etwa in „Heimat und Arbeit“, 1992). Sein Interesse galt darüber hinaus einzelnen Branchen wie der Silberwaren- (im Katalog zur Ausstellung „Silbersachen“ des Stadtmuseums, 2004) oder der Spielwarenindustrie (Beitrag in den „Esslinger Studien“, fußend auf seiner Eröffnungsrede für die Ausstellung „Große Welt ganz klein. Spielzeug aus Esslingen“ im Stadtmuseum, 2010). Daneben hat Kollmer sowohl der Maschinenfabrik Esslingen als auch der Sektkellerei Kessler bzw. deren jeweilige Gründern Aufsätze und Vorträge gewidmet.

Doch nicht nur seine Veröffentlichungen haben große Wirkung hinterlassen: Jeder, der miterleben durfte, wenn Gert Kollmer von Oheimb-Loup über die Geschichte „seines“ Esslingens plauderte, sprach oder einen Vortrag hielt, war von seinem exzellentem Fachwissen, seiner unbändigen Neugier, seiner großen Ausdrucksfähigkeit, seinem Humor  und seiner nicht nachlassenden, ansteckenden Freude an der Vergangenheit begeistert.  

Dr. Joachim J. Halbekann,  Stadtarchivar Esslingen,

Ausschussmitglied Geschichts- und Altertumsverein Esslingen am Neckar e.V.

18. März 2021